Erfahrungsberichte

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Vom Spielen und anfassen – eine Reflexion über Kunstunterricht im Bauhausjahr

Einer der wohl bekanntesten Zitate aus den ästhetischen Briefen von Friedrich Schiller ist die Erkenntnis, dass der Mensch dort Mensch ist, wo er spielt. Was bedeutet aber nun dieses Spielen und was ist Mensch-sein für eine Kategorie? Beides lässt sich, sowohl theoretisch, als auch praktisch, im Bauhausjahr ergründen, war es doch diese Institution, die mit der Frage nach dem neuen Leben, sich ausdrückend an der Bühne und in Festen, herumtrieb. Hinter Schillers Zitat verbirgt sich eine Haltung, die neu eingeübt werden soll. Im folgenden sollen Reflexionen und Überlegungen dargelegt werden, die Anhand eines Theaterexperiments zum Bauhausjahr an der Hiberniaschule in Herne durchgeführt wurden. Beginnen wir aber von vorne.


Die Bühne am Bauhaus

An jedem Bauhaus – es gab schließlich nicht nur eines – gab es eine Werkstatt, die keine war und gerade dadurch Schmelztiegel der Kreativität wurde: Die Bauhausbühne. Zuerst vom Expressionisten Lothar Schreier geleitet und dann vom Konstruktivisten Oskar Schlemmer übernommen, war sie nie eine offizielle Werkstatt. Alldiejenigen, die sich dort betätigten, mussten parallel noch in anderen Werkstätten arbeiten, was eine besondere Atmosphäre der Interdisziplinarität erschuf. In Erscheinung trat die Bühne und ihre Konstrukteure insbesondere zu den Bauhausfesten und zu jeder, sich bietenden, Party-Veranstaltung. So war sie Ausgangspunkt des Experimentierens mit Tanz und Musik, brachte eine Jazz-Gruppe hervor und forderte die Zuschauer*Innen regelmäßig zum mitmachen auf. Schon in Gropius Überlegungen zum Totaltheater – ein Architektonischer Entwurf – war die Guckkastenbühne eingemottet worden. Theater spielte sich vor und hinter, über und unter den Zuschauer*Innen ab. Sie wurde eingefasst in Lichtspielelemente und sollte die vierte Wand krachend zum einstürzen bringen. Egal ob Schreier oder Schlemmer, beide benutzten die Bühne als Spielplatz ästhetischer Fragestellungen. Lothar Schreier fragte mit seinen Kostümen und seinem Puppenspiel nach der Verfasstheit des  Menschen, eine Frage die Schlemmer in anderer Art, mit dem triadischen Ballett weiterführt. In der Folge erkundet Schlemmer Raum, verlässt mit seinen Stücken bewusst ‚die Bühne‘ als Bereich und erhebt ein komplettes Gebäude als Spielort. Masken, Tanz als mechanischer Ablauf von grotesken Bewegungen und eine Bühne, die sich selbst aufgibt, weil sie anerkennt, dass der gesamte Raum eine Bühne ist, bilden also Kernüberlegungen des Theaterexperiments an den Bauhäusern. Erwähnt an dieser Stelle sind noch nicht die Experimente mit Licht und Schatten, sowie mit Musik, die die Bühne stets begleiteten. Während Musik, auf Grund fehlender Expertise zu einem Atavismus verkümmerte, liegen in der Bauhausbühne gleichzeitig auch die Anfänge des Kinofilms und der Fotografieavantgarde der 1920er Jahre.  So beschäftigten sich ganz unterschiedliche Künstler*Innen mit der Frage, inwiefern der technologische Fortschritt die Kunstproduktion verändern würde. Produktion war dann auch das Stichwort für das Bauhaus Dessau,  welches Industrie und Kunst versuchte zusammenzudenken. Das Kunstwerk erhielt insofern eine doppelte Aufgabe, es musste ‚schön‘ und‘funktional‘ sein, aber ebenso leicht massenhaft produzierbar. Neuste Technologie sollte die lebensnotwendigen Dinge produzieren, aber ebenso einfach produzierbar sein. Die gesellschaftliche Perspektive wird, in Dessau, also stets damit eingefangen, dass auch nach den Kosten,d.h. nach der erschwinglichkeit für ‚Jedermann‘, gefragt wird.


Grenzen überschreiten: Bauhaus an Schulen

Mit Schulen haben wir eine der gesellschaftlichen Institutionen vor uns, in denen Menschen am stärksten geprägt werden, schließlich sind sie ihnen in den ersten  18 Lebensjahre in der Hauptsache ausgeliefert. So ist es nicht verwunderlich, dass ein stetiger Kampf um ihre Form und um ihre Inhalte geführt wird. Das Bauhaus war eine Schule, die das Konzept der ganzheitlichen Bildung ihrer Schüler*Innen ernstnahm. Dieser (Selbst)Anspruch führte daher auch dazu, dass die Bildungskonzepte des Bauhaus sich Semesterweise änderten, da stets auch mit der Form der Lehre am Bauhaus experimentiert wurde. So gab es zwar ein gewisses Grundkonzept der Lehre am Bauhaus, ihr Inhalt und ihre Ausrichtung war aber weniger Konsenz, als es die historischen Darstellungen vermuten lassen.

Was passiert nun, wenn wir eine Schule in einer Schule vorstellen? Ein Horizont der Alternativen eröffnet sich. Mit der Erkenntnis dass der Raum, also die Schule in der man sich befindet, anders sein kann, erwacht gleichzeitig ein Bewusstsein dass die Bedingung für die Erkenntnis von Möglichkeiten ist. Ein solches Bewusstsein, ist es erwacht, fehlt noch die Sensorik, die tastenden Impulse müssen geübt werden, um zaghaft zu bemerken, dass die vorher geglaubten Grenzen des Denkens keinen festen Bestand haben. Schule kann so zum Experimentierlabor der Sinne und des Bewusstseins werden, vorausgesetzt strenge Erwartungen  (Noten) und hierarchische Verhältnisse (Lehrer Vor der Klasse), werden eingemottet und Lehrpläne als Inspirationsmomente zur Gestaltung von  Lernen begriffen. Der Raum Schule  schafft die Bedingungen des Lernens selbst, seine Öffnung, architektonisch wie kognitiv schafft erst die Voraussetzungen, dass die Schüler in einem Entgrenztem Feld spielen können. Nicht nur der Umbau  des Orts Schule, als ganz reales Moment, sondern das Verhalten der zentralen Akteure muss überdacht werden. Diese Umwälzung hat das Potential für alle Beteiligten neue Horizonte zu öffnen, neue Erfahrungen zu machen und das Miteinander neu zu begreifen.  
Dieses neue Denken von Schule scheint umso dringender zu sein, sind doch alle Überlegungen jenseits von G8/G9 versehen mit einem Addblocker, an dem die hartnäckigsten Hacker des Schulsystems vor einer firewall landen, die ‚Preußisches Schulsystem‘ heißt. Während Schulreformer*Innen also die Zeitmaschine abhanden gekommen zu sein scheint, mit der man unser Bildungssystem auf Jetztzeit bringen könnte, versucht das Projekt ‚woraus wird Morgen gemacht sein‘ den Schulbetrieb subversiv zu unterlaufen, indem die Utopie einer anderen Schule spielerisch eingebaut wird. Unsere Schule ist das Relikt einer Gesellschaft des 18.Jahrhundert, die Ungleichheiten fundamentiert. Ihr ist das präusische Ständesystem eingeschrieben, welches nicht nur verbal angegriffen werden muss, sondern materiell aufgehoben werden sollte. Genug Inspiration liefert uns der internationale Blick. In einem Jahr, indem alle Kultureinrichtungen das Bauhausjahr feiern, eröffnet sich auf einmal der Raum an Schulen, im klassischen Unterricht, neue Denkformen, getarnt als ästhetisches Moment, einzustreuen. Die harte Grenze scheint zur Schwelle, zum Moment eines Übergangs zu schmelzen, lasst uns also den Schritt waagen.


Von Erfahrungen und Vorurteilen

Aus den vorangestellten Überlegungen entwickelte sich nun der Impuls, anhand des Disziplinüberschreitenden Charakters des Bauhaustheaters, genau dieses in den Schulunterricht zu implementieren. Dabei sollte die Lernzeit nicht mit einem, sowieso zu kritisierenden, Narrativ des Bauhaus verbracht werden, sondern die Schüler*Innen sollten die Erfahrung machen, einen eigenen Ort zu gestalten. Das Projekt ‚Alltag in der Zukunft‘, setzte sich somit zum Ziel durch Vermittlung von eigener Erfahrung das Moment Kunst soweit zu öffnen, dass die Schüler*Innen ihr Potential zur Weltgestaltung verstünden. Eine Erfahrung steht dabei exemplarisch dafür, dass ein bisschen Improvisationstheater und Kostüme basteln nicht ausreicht:

Kostüme maskieren und können dadurch gleichzeitig demaskieren. Man kann sich in jemand anderen verwandeln und dadurch Hämmungen oder Ansprüche ablegen. Dieser Prozess muss selbst erfahren werden, durch die Erkundungen im Spiel und mit dem Material, welches man zur Verfügung hat.

Um die Dimension des Spielens zu verdeutlichen, ist also auch der Umgang mit Material zu erörtern. Was habe ich für ein Gegenstand vor mir, was sind seine Eigenschaften, welche Funktion hat dieser. In einer Sitzung sollten die Schüler*Innen verschiedene Gegenstände, dabei viel Bruchstückhaftes, nur mit dem Tastsinn erforschen. Ihre Augen wurden für dieses Experiment verbunden. Das Ergebnis bestand darin, dass hauptsächlich der visuelle Eindruck über das  taktile gelegt wurde. Zeichnungen der Gegenstände bildeten häufig nicht deren Oberfläche, sondern lediglich deren Form ab. Die Methode war der Materiallehre Moholoy-Nagy‘ entnommen. Auch wenn nicht erwartet wurde, dass die Schüler*Innen in die Abstraktion des Bauhausvorkurses einsteigen, wurde jedoch klar, inwiefern bekanntes als Leitplanke der Handlungen in unbekannten Räumen dient. Dies ist für sich genommen zunächst kein Problem, wird aber zu einem, wenn man nicht erkennt, dass das Ablösen von der bekannten Erfahrung und Wahrnehmung ein  Möglichkeitsfenster ist. Ein Vorurteil, so verstanden, mag zunächst zur Orientierung dienen, verstellt aber gleichzeitig andere Erfahrungsdimensionen. Ob ein Vorurteil erst verschwinden muss, oder ob das Wissen um seine Präsenz ausreicht, bleibt an dieser Stelle ungelöst. Beim Öffnen des Möglichkeitsfensters scheint die Beschäftigung mit diesen Fragen, so zeigt das durchgeführte Projekt, unvermeintlich.


Vom Spielen, zum Menschen zur Haltung

Im Moment des ‚Theater Spielens‘ liegt also, mit dem Bauhaus gedacht ein Moment der Neugestaltung von Raum und Mensch. Beides kann nicht alleine betrachtet werden, da der Raum Konfigurationsbedingungn menschlicher Beziehung enthält. In dem der Raum Schule als Bühne für ein großartiges Stück begriffen wird, eröffnet man ein Moment der Entgrenzung vom klassischen Denken. Entgrenzung meint hierbei die Reflexion über die oben genannten Vorurteile, zusammen mit ihren Entstehungsbedingungen. Man bewegt sich damit außerhalb des gewohnten, an neue Räume und zu neuen Erfahrungsorten. Vor der Figur des Spiels muss aber gleichzeitig gewarnt werden: Allzu häufig wird sie Begriffen als Moment des eskapistischen Verlassens der gegebenen Verhältnisse. Wichtig ist das subversive Element des Spielens , indem man andeutet, dass das Stück nicht mit dem Fall des Vorhangs vorbei ist. ‚Alltag der Zukunft‘ will durch Spielen und dem Theater als Raum des Experimentes, der Zugleich alle Räume des Lebens umfassen kann, für ein (vor)urteilfreies nachdenken über die Alltagserfahrungen sensibilisieren. An dieser Stelle darf angemerkt werden, dass Rückmeldungen wie ‚Ich fühle mich nun Selbstsicherer im Alltag‘, ‚Meine Wahrnehmung der Umgebung hat sich verändert‘ oder ‚Ich habe nun ein anderes Verständnis von Kunst, das über das Mahlen von Bildern hinausgeht‘, dafür zu sprechen scheint, dass das  Projekt erfolgreich  war. Vom Spielen ist etwas am Menschen hängen geblieben, das bleibt. Es ist genau dieser Aspekt der in der Bildungsdebatte kaum vorkommt. Es wird über marode Schulen und über einen schlechten Beträuungsschlüssel debattiert, was absolut notwendig und sinnvoll ist. Es fehlt aber das Einfordern einer Haltung, die die Schule als Bühne, als Theater, als Spielplatz der Möglichkeiten des kommenden Lebens begreift. Soll Schule ihren zeitgemäßen Auftrag - für die Zukunft Menschen (auszu)bilden - gerecht werden, dann muss sie nicht nur die Materialien und physischen Räume zur Verfügung stellen, sondern auch die Denkräume eröffnen. Diese Haltung erfordert nicht nur Überzeugung, sondern auch Mut, seinen Unterricht zu öffnen und Lehrpläne nicht strickt vorzugeben. Angesichts dessen, dass unser Schulsystem den Geist einer untergegangen Generation atmet und  dabei Schüler*Innen in Notenerwartungen erstickt, scheint es sowieso nicht mehr schlimmer werden zu können. Habt also Mut mehr an Schulen zu spielen!